(Rezension) Tschick von Wolfgang Herrndorf

Titel: Tschick
Autor: Wolfgang Herrndorf
Seitenanzahl: 256 (Taschenbuch)
Verlag: Rowohlt Verlag
Reihe: Einzelband
ISBN-10: 3499256355
ISBN-13: 978-3499256356
Meine Wertung: 5/5











Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee. Die Kaffeemaschine steht drüben auf dem Tisch, und das Blut ist in meinen Schuhen. Um ehrlich zu sein, es ist nicht nur Blut.
 Mutter in der Entzugsklinik, Vater mit Assistentin auf Geschäftsreise: Maik Klingenberg wird die großen Ferien allein am Pool der elterlichen Villa verbringen. Doch dann kreuzt Tschick auf. Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow, kommt aus einem der Asi-Hochhäuser in Hellersdorf, hat es von der Förderschule irgendwie bis aufs Gymnasium geschafft und wirkt doch nicht gerade wie das Musterbeispiel der Integration. Außerdem hat er einen geklauten Wagen zur Hand. Und damit beginnt eine Reise ohne Karte und Kompass durch die sommerglühende deutsche Provinz, unvergesslich wie die Flussfahrt von Tom Sawyer und Huck Finn.
Quelle: Amazon

Seit ich klein war, hatte mein Vater mir beigebracht, dass die Welt schlecht ist. Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehn erzählte es auch. Wenn man Nachrichten guckte: Der Mensch ist schlecht. Wenn man Spiegel TV guckte: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war. (Tschick, S. 209)


Als es in der Deutschstunde wieder hieß, wir würden eine Lektüre lesen, habe ich bereits damit gerechnet, den nächsten Klassiker aus einem bereits vergangenen Jahrhundert vor mir zur haben,  der vielleicht, wie die Lehrer immer behaupten ,,pädagogisch wertvoll“, aber trotzdem für uns Schüler öde, veraltet und nur schwer verständlich ist.  Doch als ich dann den Klappentext von ,,Tschick“ gelesen habe, habe ich mich richtig darauf gefreut, mit diesem Buch zu beginnen. Es verspricht, den Leser gemeinsam mit den beiden 14-jährigen Jungen Tschick und Maik auf eine schräge und lustige  Reise quer durch Deutschland mitzunehmen und sich dabei auf die Suche nach den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu machen. Und ich kann euch sagen, es hält, was es verspricht und noch mehr. 

Maik Klingenberg ist ein Außenseiter ohne Freunde und freut sich dementsprechend herzlich wenig auf die bevorstehenden Sommerferien. Während seine Mutter wieder einmal in die „Beautyfarm“ - ein beschönigendes Wort für Alkoholentzugsklinik – muss und sein Vater mit der Assistentin verreist, sieht es für Maik so aus, als müsste er die Ferien wieder alleine verbringen. Doch da trittt Tschick auf den Plan. Der Russlanddeutsche Andrej Tschichatschow  aka Tschick hat es irgendwie von der Förderschule aufs Gymnasium geschafft und trotz der vielen sozialen Unterschiede zwischen Maik und Tschick gibt es doch eine Gemeinsamkeit: Sie beide sind Außenseiter. Und zu zweit ist man weniger alleine, richtig? Als Tschick dann mit der verrückten Idee aufkreuzt, zusammen mit dem von ihm geklauten Lada in die Wallachai zu seinem Großvater zu fahren, zögert Maik nicht lange und stimmt zu. Und so beginnt eine aufregende Reise, während der zwei Jungen versuchen, erwachsen zu werden. Neben vielen neuen Bekannten, denen sie auf ihrer Reise begegnen, einer schräger und komischer als der andere, wie zum Beispiel der ,,Adel auf dem Radel“ oder aber Isa, das Mädchen vom Schrottplatz, finden sie vor allem eins: Freundschaft. 

Da die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Maik geschrieben wird, kann man die Geschehnisse hautnah miterleben und es ist leichter, sich in ihn hineinzuversetzen, auch wenn seine Gedankengänge manchmal sehr chaotisch und ausschweifend sind, jedoch immer unterhaltsam und mit viel Liebe für's Detail. Durch diesen tiefen Einblick in Maiks Innerstes, konnte ich eine gute Vorstellung von dem Jungen auf der anderen Seite des Blattes bekommen und habe dabei so viel über ihn gelernt, dass er für mich  mehr wie eine reale Person als wie eine Romanfigur wirkte. Ich habe beim Lesen oft zur Tür herübergeschielt, immer mit dem Gedanken, dass Maik jeden Moment hindurch getreten kommt, so einen echten und lebendigen Eindruck, hat er auf mich gemacht.  Maik ist nicht wie die typische Heldenfigur  und ,,Tschick“ ist auch nicht der typische Jugendroman und hebt sich somit deutlich von anderen Büchern dieses Genres ab. Es ist viel tiefgründiger und gedankenreicher und oft verstecken sich überall im Buch symbolische Handlungen oder Dinge, die der Leser entschlüsseln muss. Hinter all dem Witz, Charme und dem Humor, vermittelt das Buch auch wichtige Werte wie Freundschaft, Liebe oder Akzeptanz, die zwar nicht direkt angesprochen werden, aber doch immer da sind, irgendwo zwischen all den Seiten. Und obwohl Maik doch gerade erst den Weg ins Erwachsenenleben betreten hat, so trifft er doch oft Aussagen, die mich durch ihre Tiefsinnigkeit und Richtigkeit verblüffen und zum Nachdenken bringen konnten. In diesen Momenten merkte man einfach, dass das Buch von einem brillianten Autor mit  weisen Gedanken und Erfahrung im Gepäck geschrieben wurde, der es aber schafft, diese mit der Sprache eines Vierzehnjährigen zu vermitteln und dabei immer den richtigen Ton zu treffen, ohne aus der Rolle zu fallen. Mit Jugendsprache und teilweise noch kindlichen, aber dennoch erstaunlichen Gedanken bleibt es immer Maik, der seine Geschichte erzählt und nicht Herrndorf. 
Und auch die anderen Charaktere sind ähnlich facetten- und detailreich. Mit eigenem Sprechmuster, einer eigener Ausdrucksweise und individuellen Charakterzügen wird jede Figur lebendig und einzigartig gestaltet, obwohl sie doch alle derselben Feder entstammen. Zusammenfassend kann ich sagen, dass ,,Tschick“ ein empfehlenswertes Buch ist das, neben unterhaltsamen Dialogen und skurrilen und einzigartigen Figuren auch jede Menge Tiefgang besitzt, der unter die Haut geht.

Weil, man kann zwar nicht ewig die Luft anhalten. Aber doch ziemlich lange.
Ihr seht schon, das Buch konnte mich absolut überzeugen. Es ist tiefgründig, amüsant, einzigartig und absolut empfehlenswert. Ich vergebe 5 von 5 Traumtänzerinnen:

Der deutsche Schriftsteller, Maler und Illustrator Wolfgang Herrndorf wurde am 12.06.1965 in Hamburg geboren und lebte später in Berlin. Nach langer Krankheit verstarb der Autor am 26. August 2013 in Berlin. Er studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, arbeitete anschließend unter anderem als Illustrator für den schweizer Haffmanns Verlag und die Zeitschrift Titanic. Im Jahr 2002 erschien sein Debütroman "In Plüschgewittern", auch malte er die Cover zu Frank Schulz' "Hagener Trilogie" und wurde außerdem als Mitarbeiter bei der Zentralen Intelligenz Agentur um Sascha Lobo geführt. Er nahm 2004 am Ingeborg-Bachmann-Preis teil, wo er mit dem "Kelag-Publikumspreis" ausgezeichnet wurde, 2008 erhielt er den neugestifteten und erstmals vergebenen Deutschen Erzählerpreis. Im September 2010 veröffentlichte Herrndorf nach einer Hirntumor-OP sein Tagebuch. Nachdem bereits "Tschick" für den Preis der Leipziger Buchmesse 2011 nominiert gewesen war, erhielt Herrndorf diesen Preis schließlich 2012 für seinen aktuellen Roman "Sand". "Sand" schaffte ebenfalls der Sprung auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2012. Post mortem erschien mit "Arbeit und Struktur" im Dezember 2013 sein berühmter Blog in Buchform. Ebenfalls post mortem erschien im Herbst 2014 sein unvollendeter Roman "Bilder deiner großen Liebe".
Quelle: Lovelybooks

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